Inklusive Checkliste
Inflation, Ukraine-Krieg, Lieferkettenprobleme – wie schlimm wird es in 2023? Wir nehmen an dieser Stelle die verschiedenen Risikofaktoren unter die Lupe und beleuchten, welche Branchen besonders betroffen sind.
Ein Ende der Zombifizierung ist nach Einschätzung von Christiane von Berg, Chefvolkswirtin für Nordeuropa & Belgien bei Coface, erst einmal nicht in Sicht. Das Problem bleibe, dass seit nunmehr drei Jahren die marktwirtschaftlichen Kräfte ausgesetzt seien. Die staatlichen Pandemiehilfen wurden erst im Juni 2022 beendet und sind praktisch nahtlos in Stützungsmaßnahmen im Rahmen der Energiekrise übergegangen. „Diese Maßnahmen haben zwar einen geringeren Umfang, dennoch bleibt damit unklar, welches Unternehmen ein Komapatient ist und wiederbelebt werden kann und welches Unternehmen letztendlich zum Zombie mutiert ist”, so Christiane von Berg.
Auch Philip Boland, Product Owner Credit Management bei Aryza, glaubt: „Zwei Jahre Einschränkung des Betriebs, dafür extra Verschuldung z. B. durch COVID-Zuschüsse wirken sich natürlich aus.” Im Vergleich zu den anderen Risikofaktoren hält er die Gefahr einer Zombifizierung jedoch für eher gering.
Die Ökonomen der Allianz gehen von einem Anstieg der weltweiten Unternehmenspleiten um 10% für 2022 und 19% für 2023 aus. Anna-Katharina Wichmann, Regional Commercial Director von Allianz Trade in der DACH-Region, spricht von einer „sukzessiven Normalisierung des Insolvenzgeschehens nach den massiven fiskalischen Unterstützung der Wirtschaft in den letzten Jahren”.
Insolvenzgefahr: keine bestimmten Branchen, inzwischen auch größere UnternehmenLösungsansätze: Monitoring, Insolvenzchecks, Fortbildung Mitarbeiter, Scorecards stetig aktualisieren.
Kaum ein Thema hat Unternehmen und Privatbürger in Atem gehalten, wie das Thema steigende Energiepreise, die in vielen Ländern maßgeblich die Inflation angetrieben hat.
Philip Boland sieht „teure Energie und teures Gas, ohne dass wir effektiv eingreifen können, als die größte Gefahr für unsere Gesellschaft”. Rechtsstaat und Sicherheit kommen sich hier ins Gehege, wenn sich der Bürger kein Essen mehr kochen oder die Wohnung nicht mehr wärmen könne. Eine von Europa ausdiskutierte Preisobergrenze ist aus Sicht des Credit Management-Experten nicht die Lösung, sondern führe nur zu mehr Unsicherheit und evtl. sogar zu Insolvenzen bei privatisierten Energielieferanten.
Albrecht Vater, BARDO Internationaler Verband der Kreditversicherungsmakler e.V. resümmiert: Bereits 2021 hätten sich die Preise wichtiger Rohstoffe verdoppelt, woran besonders die Automobil- und Stahlindustrie gelitten habe. „Seit 2022 treiben nun Energiepreise Europa in eine Rezession. Wir sehen bereits ein teilweise sprunghaft gestiegenes Zahlungsausfall-risiko, das zumindest etwas von der geplanten Energiepreisbremse gelindert wird”, so Vater. Auf Lieferantenseite sei dies allerdings nur ein kleiner Trost, denn schon jetzt erhielten diese nicht immer oder nicht immer sofort in ausreichendem Maße die Kreditlimite, die sie zur Absicherung des Forderungsausfallsrisikos benötigten. „Mehr und mehr Unternehmen fragen deshalb bei uns Kreditversicherungsmaklern zusätzliche Deckungssummen an.”
Das Insolvenzgeschehen auf Unternehmensebene ist angespannt. Deutschland verzeichnet nach einem Anstieg um 5% für 2022 einen weiteren Anstieg um 17% für 2023. „Allerdings kommen wir von einem niedrigen Niveau", so Katharina Wichmann von Allianz Trade. „Druck auf die Unternehmen üben vor allem hohe Energiekosten sowie steigende Löhne und Zinsen aus.” Gefährdet seien gerade kleinere und mittlere Unternehmen - auch in Deutschland.
Immerhin: „Die Energiepreise haben sich zum Jahresanfang etwas entspannt, die globale Erwärmung mit höheren Temperaturen macht es möglich”, so Coface-Volkswirtin Christiane von Berg. Auch blieben die Gasspeicher gut gefüllt. Diese ruhigere Situation sollte aus Sicht der Ökonomin, soweit es nicht zu einer Eskalation des Kriegs in der Ukraine kommt, die auf das NATO-Gebiet ausufert, so bleiben. „Schwierig dürfte es ab der zweiten Jahreshälfte werden”, so von Berg. „Wir gehen davon aus, dass China bis dahin die COVID-Pandemie hinter sich gelassen hat und sich stärker erholt, wodurch die Nachfrage und damit die Preise für Energie und Rohstoffe wieder anziehen sollten.”
Insolvenzgefahr B2B: Energieversorger, energieintensive Unternehmen Chemie-, die Nahrungsmittel-, PapierindustrieInsolvenzgefahr B2C: finanzschwache VerbraucherLösungsansätze: Automatisiertes Forderungsmanagement bei gleichzeitig individueller Kommunikation.
Von Lieferkettenproblemen, während der Corona-Krise an chinesischen Häfen oder ausgelöst durch den Ukraine-Krieg, waren zuletzt viele Branchen betroffen. Einige trifft es besonders schwer: „Automobilzulieferer in der Krise“ titelte Transport-online.de, die Zeitung für den Güterverkehr. Das spiegelte sich zuletzt auch in einem Anstieg der Insolvenzen wider.
„Seit Pandemiebeginn stehen die weltweiten Lieferketten – auch durch die langanhaltende Null-Covid-Strategie Chinas – unter hohem Druck", so Albrecht Vater, BARDO Internationaler Verband der Kreditversicherungsmakler. „Das Just-in-Time-Prinzip vieler Industrien geriet ins Wanken, sogar teilweise zum Erliegen. Die Industrie musste Mehraufwendungen für Ersatzbeschaffungen einzelner Komponenten aufbringen und es fielen Pönalen für die Nichtlieferung von Produkten oder die deutlich verspätete Auslieferung der Anlagen im Maschinenbau an. All dies wird Spuren in künftigen Unternehmensbilanzen hinterlassen und das Forderungsausfallrisiko ansteigen lassen. Einige Unternehmen stocken als Alternative zu Just-in-Time nun – kapitalbindend – ihre Lagerkapazitäten auf und sorgen mit Factoring für Liquidität. Dieser Trend wird 2023 weiter zunehmen."
„Der Druck auf die Lieferketten hat sich um Ende des vergangenen Jahres spürbar entspannt”, so Christiane von Berg. Der Grund: Die starke globale Konjunkturerholung von 2021 sei Ende 2022 zum Erliegen gekommen und damit sei auch die Nachfrage nach Produkten merklich gesunken. Dadurch sei der Druck für die globalen Lieferketten aktuell noch so hoch wie zur Rezession 2009, aber eben nicht mehr so noch wie noch Anfang 2021. „Zudem wurden höhere Kapazitäten aufgebaut, weshalb bei der Chipherstellung schon Gerüchte von künftiger Überproduktion umgehen”, so von Berg. Erst einmal sollte der Druck in der ersten Jahreshälfte weiter abnehmen und in der zweiten Hälfte wieder anziehen, da eine wirtschaftliche Erholung Chinas erwartet werde und damit die Nachfrage wieder zulegen sollte.
Besonders betroffene Branchen: Noch immer – wenn auch weniger als in der Vergangenheit – Automotive, Maschinenbau, Informations- und Kommunikationstechnologie, Agrar- und NahrungsmittelLösungsansätze: gutes Credit- und Lieferantenmanagement
Die Inflation sollte im Herbst 2022 erst einmal ihren Höhepunkterreicht haben und im Jahr 2023 sinken, prognostiziert Coface-Volkswirtin Christiane von Berg. Das liege nicht daran, dass die Preise nun zurückgehen (z. B. mit Hilfe einer Gaspreisbremse), sondern dass die Preise im Vergleich zum vergangenen Jahr langsamer zulegten. Das Inflationsniveau werde aufgrund von steigenden Löhnen und der Diversifizierung der Produktion in andere Länder aber erhöht bleiben.
„Die Zentralbanken werden auf Sicht fahren", so die Coface-Volkswirtin weiter. Bei der EZB sollten in diesem Jahr die Zinsen bis 3,5% oder höher ansteigen, kombiniert mit einem kontrollierten Abschmelzen der Bilanzsumme durch eine Beendigung der Reinvestitionen fällig werdender Papiere aus den Anleiheankaufprogrammen. Dies werde die Finanzierungskosten für Unternehmen erheblich steigern und könnte letztendlich in der mittleren Frist selbst wieder zu erhöhter Inflation führen.
„Auf Konsumentenkredite und Überziehungszinsen haben Leitzinserhöhungen die größte Auswirkung, da sich Banken neben der eigenen Fristentransformation und der Refinanzierung über andere Banken zu diesem höheren Leitzins auch bei der EZB refinanzieren", sagt Christian Piller, Product Director Banking bei Aryza. Auf die Baufinanzierung habe die Erhöhungen weniger Effekt, da diese in der Regel als längerfristige Festzinskredite vergeben würden. Diese werden tendenziell eher über durch die Kreditgeber ausgegebene Anleihen refinanziert, und deren Refinanzierungskosten orientieren sich an der Rendite langfristiger Bundesanleihen. Auch seien die erwarteten Leitzinserhöhungen teilweise bereits eingepreist. Heiko Walter von Wa-Ka meint: „Wegen der starken Inflation, der Kaufzurückhaltung im privaten Konsum und den Nachwirkungen der Corona-Jahre erwarten wir besonders im Dienstleistungsgewerbe und im Handwerk in den nächsten Jahren vermehrte Zahlungsschwierigkeiten."
Besonders betroffene Branchen: alleLösungsansätze: Enges Monitoring der Kunden
In der westlichen Welt spielt die Pandemie aus Sicht von Coface-Volkswirtin Christiane von Berg kaum noch eine Rolle. „China hingegen wird durch die neue Öffnungspolitik jetzt erst einmal eine große Infektionswelle haben, bis es zu einer Durchseuchung kommt.” Das könnte die Lieferketten mit China zunächst belasten und diese dann wiederum entspannen, wenn es um die Produktion geht. Der Nachfrageanstieg, der von der konjunkturellen Erholung nach der Pandemie in China erwartet wird, sollte wiederum bei nicht verändertem Angebot die Güter wieder verknappen.
Heiko Walter von Wa-Ka meint: Während der Corona-Pandemie hätten viele Länder ihre Unternehmen geschützt, auch die deutsche Wirtschaft sei deshalb stabil geblieben. Allerdings hätten einige Unternehmen die Geschäftszahlen und Profitabilität von 2019 noch nicht wieder erreicht. „Wegen der starken Inflation, der Kaufzurückhaltung im privaten Konsum und den Nachwirkungen der Corona-Jahre erwarten wir besonders im Dienstleistungsgewerbe und im Handwerk in den nächsten Jahren vermehrt Zahlungsschwierigkeiten”, so Heiko Walter.
Immerhin: „Corona war eine Zäsur, das Risikobewusstsein ist seitdem deutlich gestiegen“, berichtet Kevin Goßling vom Datenanbieter Fusionbase. Insbesondere den Risikoexperten in Konzernen stünde ein größeres Budget zur Verfügung, um Krisen im Blick zu behalten. Die Menschen hätten verstanden, dass die Welt von einem Tag auf den anderen völlig anders aussehen könne.
Besonders betroffene Branchen: alleLösungsansätze: Insolvenzchecks, Marktbeobachtung, enges Monitoring der Kunden
„Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat Unternehmen gezeigt, wie wichtig es ist, Kunden und Lieferanten zu kennen – in diesem Fall konkret im Hinblick auf Sanktionen”, so Heiko Walter, Wa-Ka Kreditversicherungsmakler GmbH. Selbst ein unwissentlicher Verstoß gegen die Sanktionslisten führe zum Ausschluss des Risikos aus der Kreditversicherung. Gerade die Maschinenbaubranche und international tätige Unternehmen sollten adäquat vorsorgen, um nicht selbst in Misskredit zu geraten und mit Sanktionen belegt zu werden. Empfehlenswert sei ein automatisierter Abgleich der Kundendaten mit den Sanktionslisten (siehe Webinar). Dies verringere sowohl Aufwand als auch Fehlerrisiko.
Coface-Volkswiritin Christina von Berg meint: „Der Krieg in der Ukraine sollte ähnlich wie in der zweiten Hälfte 2022 fortgeführt werden. Wir erwarten kein Ende in diesem Jahr.” Eine Eskalation des Konflikts auf NATO-Staaten sei nicht auszuschließen, auch wenn diese Option wenig wahrscheinlich ist. von Berg: „Ein Umsturz des Regimes im Iran wird von uns ebenfalls nicht erwartet, daher sollte sich die geopolitische Situation des Landes wenig verändern.”
Besonders betroffene Branchen: Branchen, die weiterhin von Russland bzw. der Ukraine abhängig sind, z. B. Agrar- und NahrungsmittelLösungsansätze: Länderrisiken absichern
Das Institut deutsche Wirtschaft vermeldete zuletzt als Ergebnis einer Verbandsumfrage: Die geopolitische Lage hat sich keineswegs entspannt. Damit bleiben die globalen Produktions- und Zuliefernetzwerke unvermindert anfällig für Störungen."
Der Fachkräftemangel wird sich im Jahr 2023 weiter verschärfen, da immer mehr Baby-Boomer in Rente gehen und die geburtenstarke Generation nicht von den nachfolgenden Generationen ersetzt werden kann. „Die Fokussierung auf das Studium im Vergleich zur Ausbildung hat besonders im Gesundheitssektor und dem Handwerk zu einem Fachkräftemangel geführt”, so Christina von Berg. Da durch den Fachkräftemangel aufgrund des starken Wettbewerbs höhere Löhne gezahlt werden müssten, wird dies ebenfalls die Inflation anheizen.
„Der vorherrschende Ressourcenmangel – speziell beim Fachpersonal – erschwert es Unternehmen, datengestützte Entscheidungsprozesse rund um Credit- und Risk-Management in Echtzeit zu treffen. Daher greifen immer mehr Unternehmen zu Software- und Datenlösungen zur Automatisierung und Digitalisierung der Entscheidungsprozesse im Credit- und Risk-Management", so Mohamed Ceka, Geschäftsführer Wa-Ka Credit Solutions GmbH.
Zahlreiche bisher manuell ausgeführte Prozesse können automatisiert werden, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. „In vielen Unternehme ist oft großes Potenzial vorhanden, Betriebskosten einzusparen”, so Aryza-Bankenexperte Dietmar Nussböck.
Besonders betroffene Branchen: Handwerk, IT, Gesundheitssektor, Verarbeitendes Gewerbe generellLösungsansätze: Automatisierung vorhandener Prozesse
„Sowohl Länderrisiken als auch Insolvenzprognosen zeigten sich im vergangenen Jahr mit großen Abweichungen, auch 2023 werden sie weiter auseinanderklaffen”, so Heiko Walter, Wa-Ka Kreditversicherungsmakler GmbH, „selbst innerhalb Europas, der EU oder zwischen Nachbarländern beobachten wir extrem unterschiedliche wirtschaftliche Prognosen.” Wir können nur empfehlen, alle Risiken bezüglich Kunde, Branche und Land stetig zu überwachen.
Die Allianz-Ökonomen gehen von einem Anstieg der weltweiten Unternehmenspleiten um 10% für 2022 und 19% für 2023 aus. „Die Insolvenzen ziehen deutlich an", sagt Anna-Katharina Wichmann von Allianz Trade. „Allerdings ist dies eher eine sukzessive Normalisierung des Insolvenzgeschehens nach der massiven fiskalischen Unterstützung der Wirtschaft in den letzten Jahren.” Europa sei vom Anstieg der Insolvenzen besonders stark betroffen; zwei Drittel des Anstiegs entfallen auf die wichtigsten europäischen Märkte. Ein deutliches Plus verzeichnen vor allem Großbritannien, Frankreich und Italien. Von den großen Volkswirtschaften weltweit sind besonders China (+15% für 2023) und die USA (+38% für 2023) betroffen.